Hans Modrow: Ein Mann der SED, der seiner Zeit voraus war
von Ulrich Kötter
Hans Modrow gehörte zu den wichtigsten Politikern der Wendejahre 1989/90. Als letzter SED-Ministerpräsident der DDR war er ein Mann des Übergangs, er stand mit einem Bein im Neuen, mit dem anderen noch im Alten. In der Wendezeit wurde er überrollt von der Dynamik der Ereignisse.

Hans Modrow wurde am 13. November 1989 zum neuen Ministerpräsidenten der DDR gewählt – zum letzten Regierungschef aus den Reihen der SED.
„Ich muss gerade jetzt daran erinnern, dass die Einheit Deutschlands näher rückt. Möge man nie vergessen, dass vom Volk der DDR in die Vereinigung nicht nur die bittere Niederlage des realen Sozialismus eingebracht wird, sondern auch jenes stolze Wort ‚Wir sind das Volk!‘. Wer heute rasch und gern nur von einer instabilen DDR und deren schwieriger Wirtschaft spricht, muss sich am Ende auch befragen lassen, ob man den Preis der Vereinigung nicht zu sehr zu Lasten des Volkes drücken will.“
Dies sind wohl die hellsichtigsten Worte, die ein Mitglied der ehemaligen SED in der Wendezeit 1989/90 sprach. Es ist Dienstag, der 13. Februar 1990. Der Sprecher: Hans Modrow, der amtierende Ministerpräsident der DDR. Seine Verärgerung ist deutlich zu spüren. Neben ihm sitzt, beleibt und mit leichter Nuschelstimme, Helmut Kohl, der „Machtmenschler“ – so charakterisierte der Göttinger Parteienforscher Franz Walter den ehemaligen Bundeskanzler zu seinem 80. Geburtstag.
Machtlos gegenüber westlichen Interessen
Kohl lehnt bei diesem Besuch Modrows Bitte um einen Sofortkredit in Höhe von 10 bis 15 Milliarden DM ab. Der DDR-Ministerpräsident bleibt höflich, der heutige brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck, damals als Delegierter der DDR-Grünen mit in Bonn, wird deutlicher: Das Verhalten der Bonner Regierung sei „schulmeisterlich“ gewesen, so Platzeck 1990. Jahre später erklärt er, dass es bei der entscheidenden Verhandlung am runden Tisch im Nato-Saal um nichts mehr ging. „Dort wurden nur noch Stellungnahmen verlesen“, so Platzeck.
Die Gesamtkosten der Deutschen Einheit belaufen sich im Jahr 2009 auf eine Summe zwischen 1,3 bis 1,6 Billionen Euro. 15 Milliarden DM sind angesichts dieser Zahlen ein Klacks. Aber den wollte Kohl nicht ausgeben, lieber sprach er von „blühenden Landschaften“ und drängte Anfang Februar 1990 auf die Einrichtung einer Expertenkommission zur Wirtschafts- und Währungsunion. Als die CDU Ende der 90er Jahre von einer Spendenaffäre erschüttert wurde, kam der Verdacht auf, dass Kohl für den Verkauf der ostdeutschen Leuna-Werke 1990/91 angeblich Schmiergelder bezog. Bewiesen werden konnte das nie, die betreffenden Akten sind verschwunden.
Die kurze Amtszeit des SED-Reformers
Ministerpräsident Hans Modrow ist auch in Vergessenheit geraten – zu Unrecht. Der gebürtige Vorpommer genoss neben dem Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer als einer der wenigen SED-Politiker in der Wendezeit noch das Vertrauen der Bevölkerung. Modrow hatte als Chef des Parteibezirks Dresden früh auf Dialog mit der oppositionellen „Gruppe der 20“ gesetzt – zu einer Zeit, als Honeckers Stuhl gerade erst zu wackeln anfing.
Modrows Aufstieg zum Ministerpräsidenten ging rasant und endete jäh. Am 8. November 1989, einen Tag vor Günter Schabowskis legendärer Pressekonferenz zur Maueröffnung, wurde Modrow ins Politbüro gewählt. Nachdem neun Mitglieder ausgeschieden und drei Kandidaten gar nicht erst gewählt worden waren.
Am 13. November wurde Modrow von der Volkskammer mit der Regierungsbildung beauftragt. In derselben Volkskammersitzung redete sich Ex-Stasi-Chef Erich Mielke um Kopf und Kragen. Nach 32 Jahren an der Spitze des ostdeutschen Geheimdienstes behauptete der General, er sei immer schon ein Philanthrop gewesen. Und wurde dafür zu Recht von den Abgeordneten ausgelacht.
Fünf Tage später, am 17. November, stellte Modrow sein neues Kabinett vor. Es war zwar von 44 auf 28 Minister geschrumpft, aber die SED stellte immer noch die Mehrheit der Mitglieder. Die verhasste Stasi wollte Modrow nicht auflösen, sondern verkleinern und umbenennen. Der Runde Tisch – ein wichtiges Gremium oppositioneller Kräfte, das heute ebenfalls in Vergessenheit geraten ist – rang mehrere Sitzungen mit der Regierung Modrow um diese Frage. Mithilfe von Demonstrationen und Ultimaten gelang dann doch die Auflösung der Stasi. Am 15. Januar 1990 stürmt die Bevölkerung die zentralen Gebäude des MfS in der Berliner Normannenstraße.
Hans Modrow bot den oppositionellen Parteien des Runden Tisches am 22. Januar 1990 eine Mitarbeit in seiner Regierung an. Doch die SED-Gegner sträubten sich, ihnen fehlte ein klares Bekenntnis der Altgenossen zu ihren Fehlern. Erst am 5. Februar, acht Tage vor Modrows Bonn-Besuch, traten acht „Minister ohne Geschäftsbereich“ aus der Opposition in die neue „Regierung der nationalen Verantwortung“ ein – unter ihnen auch Matthias Platzeck.
Verlierer der Geschichte
Der Rest ist schnell erzählt. Am 18. März fanden die ersten freien Volkskammerwahlen in der DDR statt, bei der die CDU einen klaren Sieg errang. Mit der Regierungsbildung von Lothar de Maizière am 12. April war die Amtszeit des Kabinetts Modrow vorbei, der ehemalige Ministerpräsident nur noch Abgeordneter der Volkskammer. Ab Februar 1990 war Modrow Ehrenvorsitzender der PDS, von 1999 bis 2004 saß er als Abgeordneter im Europäischen Parlament. Gegen Modrow ergingen in den 90-er Jahren mehrere Gerichtsurteile wegen Anstiftung zur Wahlfälschung in der DDR. Aber nur eine Bewährungsstrafe wird rechtskräftig.
„Ich war kein Held“, erklärte Modrow dem Magazin „Cicero“ im Jahr 2006. Auf die Frage, ob die DDR-Regierung die Mauertoten billigend in Kauf genommen hätte, antwortete Modrow, dass die Verantwortung letztendlich auf beiden Seiten der Mauer liege. So ganz falsch ist das nicht, denn nur die Deutschen kamen auf die Idee, den Kalten Krieg in Beton zu zementieren und die innerdeutsche Grenze hochzurüsten. In Österreich und anderswo war der Eiserne Vorhang immer schon durchlässiger. Auch als Pole kam man ungehindert durch die DDR in die Bundesrepublik.
Doch vielleicht ist auch das eine dieser Aussagen, die für einen Politiker einfach zu weitsichtig sind. Vor allem, wenn er jemandem wie Helmut Kohl gegenüber sitzt. Dessen Mythos als „Kanzler der Einheit“ ist ungebrochen. Hans Modrow ist vergessen.
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