Die aktuelle GEO-Epoche gibt vor, sich dem „Alltag im Arbeiter-und-Bauern-Staat 1949-90“ zu widmen. Über den Alltag erfährt man jedoch wenig. Statt dessen erhält man eine Lektion in intentionaler Geschichtsschreibung.
Man könnte sagen, dass die moderne Geschichtsschreibung dann am besten ist, wenn sie die Vielstimmigkeit der Realität einfängt, neue Perspektiven darauf findet und abbilden kann. Die Zeiten monokausaler Erklärungen und einseitiger Werturteile, auf deren Basis Geschichtsdarstellungen gestrickt werden, scheint endgültig vorbei. Dieses Heft der GEO-Epoche ist eine Ausnahme.
Zumindest kann man GEO-Epoche und Chefredakteur Michael Schaper nicht vorwerfen, die Ziele ihrer Publikation zu verschleiern. Im Editorial macht Schaper deutlich – und nicht zu Unrecht – auf die neuerdings aufgekommene Neigung aufmerksam, „die Unterdrückung in der DDR zu verharmlosen“. In Wirklichkeit sei die Diktatur „in jeden Winkel der Gesellschaft“ präsent gewesen, „lückenlos und flächendeckend, keiner vermochte sich ihr zu entziehen“. Diese Feststellung ist wichtig und richtig, sie beschreibt eine in manchen Kreisen nicht selten in Ostalgie erstickte Schicht der Realität in der DDR.
Statt „Alltag“ nur „Repression und Opposition“
Wer nun aber das eigentlich für GEO-Epoche eher typische abgeklärte Panorama erwartet, in dem eben die Vielstimmigkeit der Realität ihr Recht erhält, wird enttäuscht. Der Fokus des Heftes liegt ausschließlich auf den Themenbereichen Repression und Opposition.
GEO-Epoche Nr. 64:
Die DDR
Gruner+Jahr 2013
174 Seiten
9,50 € (16,50 € inkl. DVD)
Dass es sich um ein Stück Geschichtspolitik, um intentionale Geschichtsschreibung handelt, macht Schaper ebenfalls im Editorial deutlich, als er darauf verweist, dass es ihn fassungslos mache, dass die Nachfolgepartei der SED in Deutschland politische Verantwortung tragen könnte. Dass sich Geschichtsschreibung und GEO-Epoche insbesondere dem politischen Ziel unterordnet, eine bestimmte Partei und ihre Politik zu delegitimieren, sollte wiederum den Leser zu besonders kritischer Lektüre dieses Heftes motivieren.
Wohlgemerkt: Nach Kenntnisstand des Rezensenten werden im Heft weder Fakten verfälscht noch verbogen, alles ist gewohnt gut recherchiert und dargestellt. Eine Geschichte des „Alltags im Arbeiter-und-Bauern-Staat 1949-90“ findet man jedoch nicht. Es ist, als würde man die (Alltags-)Geschichte der Bundesrepublik schreiben als Abfolge von Integration von Altnazis, Spiegel-Affäre, Contergan-Skandal, Notstandsgesetzen und RAF-Terrorismus. Das wäre dann doch etwas kurz gegriffen.
Wohltuend vom Rest des Heftes hebt sich das vierseitige Interview mit Stefan Wolle ab, der wie stets abgewogen und ruhig die Vielschichtigkeit der DDR deutlich macht.
Fazit:
Als Panorama von „Repression und Opposition“ in der DDR inhaltsstark und wertvoll. Als Gesamtbild des Alltags in der DDR jedoch stark tendenziös – und das mit (politischer) Absicht.
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